Filme über Frauen von Frauen über aktuelle gesellschaftliche Themen wie Emanzipation, Geschlechteridentität oder patriachale Strukturen erscheinen in den letzten Jahren immer mehr. Ende letzten Jahres erschien beispielsweise She Said, der sich der journalistischen Vorgeschichte der #MeToo-Bewegung widmete. Auch Sarah Polley (Take This Waltz) hat etwas zu erzählen und widmet sich gleich einem ganzen Kollektiv von Frauen. Was und wie in Die Aussprache vermittelt wird, könnt ihr nicht in der Kritik erfahren. Dennoch ein paar Gedanken zu diesem Film:
In Sarah Polleys neustem Werk prangern die Frauen einer abgeschiedenen Religionsgemeinschaft die gewaltsamen und sexuellen Übergriffe der männlichen Gemeindemitglieder an. Die verschiedenen Mitgliederinnen treffen sich auf dem Heuboden der dörflichen Scheune, um zu diskutieren: Sollen sie nichts tun, bleiben sie in der Gemeinde und kämpfen oder verlassen sie den Ort? Und wie bringen sie ihre Lebensrealität in Einklang mit ihrer zutreffenden Entscheidungen?
Frauen reden…
Die Aussprache hält, was (der deutsche wie der originale) Titel verspricht. Der Film ist als Kammerspiel inszeniert, das sich – ähnlich wie artverwandte Vertreter wie Die Zwölf Geschworenen oder The Man From Earth – einem gesellschaftlich-philosophischen Thema widmet und dies seine Figuren mit abwechselnden Redebeiträgen austragen lässt. Die feministische Abhandlung wurde von Polley, die hier als Autorenfilmerin agiert, von dem Roman der kanadischen Schriftstellerin Miriam Toews adaptiert. Die Basis bilden die realen Ereignisse einer mennonitischen Kolonie in Bolivien.
Auch ohne den Film gesehen zu haben, fällt der prächtig ausgestattete Cast in das Blickfeld: Rooney Mara, Claire Foy, Jessie Buckley, Judtih Ivey, Shella McCarthy und u.a. Frances McDormand dürfen sich in Die Aussprache Wortgefechte leisten. Bereits nach wenigen Minuten fällt einem der Original-Titel in den Sinn. Diese Frauen sprechen, denn sie haben etwas zu sagen. Und man hört ihnen zu. Neben der durchweg fabelhaften Schauspiel-Riege ist es nämlich Sarah Polleys Drehbuch zu verdanken, dass der Film sich niemals in den lebhaften Diskussionen verirrt und das Thema aus den Augen verliert. Und gleichzeitig ist der angesprochene Cast niemals Unterworfener der Zeilen – die Figuren zeigen Wut, Verzweiflung, Trauer und schließlich wieder innere Verbundenheit, Warmherzigkeit und Humor.
Während die Schauspielerinnen und der Inhalt eine Symbiose eingehen, nimmt sich die Inszenierung und damit insbesondere die Kamera angenehm zurück. Sie nimmt die Gesichter der Frauen wahr – mal von der Nähe, mal mit mehr Distanz. Auffällig ist als einziges das inszenatorische Motiv des bird’s eye view. Vermehrt werden Szenerien von oben gezeigt und symbolisieren damit auch den Konflikt mit dem anhaltenden Glauben, der die Sinnprägung und damit den behandelten Konflikt der Frauen umgibt. Der Score von Hildur Guðnadóttir gehört wohl zu den besten des Jahres – ihre Töne sind sinnlich und kraftvoll zugleich und katalysieren so den Blick der weiblichen Gemeindemitglieder.
Mehr als nur eine Diskussion
Die Aussprache begeht nicht den Fehler, nur Figuren zu inkludieren, die cisgeschlechtlich sind. Die Figur Melvin scheint zwar nur eine Randfigur zu sein, allerdings porträtiert Schauspieler Augst Winter nicht nur im Film einen trans* Mann, sondern ist auch in der Realität einer. Dieses verbindende Unterfangen mündet schließlich in einer emotionalen Szene, bei der die Frauen seinen Namen nennen (und eben nicht Deadnaming begehen). Ein wenig ratlos lässt jedoch der von Ben Whishaw gemimte Charakter August zurück, der hier gewissermaßen als Notar fungiert. Zwar werden ihm nicht viele Redeanteile gewährleistet, allerdings lenken die Behandlung dieser stets in eine didaktische Richtung, die lediglich die Symbolkraft des Frauenbündischen untermauern soll (Frage also: Hätte es auch mit der vollständigen Abwesenheit von cis Männern funktioniert?). Auch wenn die Geschichte diesen ,radikaleren‘ Weg nicht geht, versucht Die Aussprache dann noch eine romantische Beziehung zwischen Ona (Rooney Mara) und August zu forcieren, die unpassend erscheint.
Inhaltlich vermag man als Mann nicht urteilen, inwiefern Gesagtes und Gezeigtes zu bewerten ist. Dass dieses filmische Bild auch unsere Realität umgibt, ist sowieso nicht zu verneinen. Dann sollte man sich im Kinosaal aufsetzen und zuhören, während diese Frauen reden.
Fazit
Die Aussprache ist nicht nur ein wichtiger Film, weil er ein wichtiges Thema aufbereitet. Die Aussprache ist nicht nur ein guter Film, weil er dieses Thema gut erzählt und inszeniert. Er ist beides, weil er ist, was er ist. Frauen reden – wir hören zu.
Die Aussprache startet am 09. Februar 2022 in den deutschen Kinos.