Bald im Kino: Licorice Pizza Leichtfüßiges Coming-Of-Age ohne Verklärung

Knapp vier Jahre nach dem meisterhaften Der seidene Faden bringt Autorenfilmer und ,Wunderkind‘ Paul Thomas Anderson seinen neusten Film zu uns in die Lichtspielhäuser. Während sich der Regisseur oft sehr erwachsenen Themen zugewendet hat, begibt er sich mit einem Coming-of-Age-Film in neues Terrain: Wir verraten euch, ob sich Licorice Pizza in eine (möglicherweise) makellose Filmographie einreihen kann.

Zwischen dem 15-jährigen Kinderstar Gary Valentine und der zehn Jahre älteren Foto-Assistentin Alane Kane entsteht Anfang der 70er am Rande von Los Angeles eine bizarre Freundschaft. Während das ungleiche Paar und ihre Clique u.a. mit eigens gegründeten Geschäften ihre Zeit verbringen, treffen die beiden auf ihrem Weg auch bekannte Persönlichkeiten und geraten zunehmend in absurde Situationen. Und ihre Gefühle zueinander gilt es auch noch zu klären…

Filmemacher P.T.A. wuchs selbst in San Fernando Valley auf und verlegt dorthin eine Jugendgeschichte ins Jahr 1973. Die Parallelen zu Quentin Tarantinos Once Upon a Time… in Hollywood liegen auf der Hand: Beide Regisseure produzieren eine leichtfüßige Odyssee durch Kalifornien mit autobiografischen Bezügen zu ihrem Heimatsort und auch zeitlich spielt Licorice Pizza nur fünf Jahre nach der Geschichte von Tarantinos Werk. Zudem werden Tinseltown und das Filmgeschäft thematisiert (so ist Gary bereits Jungschauspieler), allerdings wird das Setting nicht nur darauf reduziert, was zumindest bei Rick Dalton & Co. ein tragendes Element darstellte.

Denn was der Magnolia-Macher uns vor allem präsentiert, ist eine feinfühlige, humorvolle und oft skurrile (Jugend-)Liebesgeschichte zwischen zwei Hauptfiguren, die sich nicht nur hinsichtlich ihres Alters unterscheiden. Während sich Gary trotz seiner mittleren Adoleszenz bereits zahlreiche Geschäftsideen und eine kleine Karriere aufgebaut hat, sucht Alana noch nach ihrem Platz im Leben: Mit Nebenjobs beschäftigt sie sich im Alltag und wohnt mit ihren Schwestern noch im Elternhaus (gespielt übrigens von Alana Hains echter Familie).

Im Laufschritt durch Los Angeles

Licorice Pizza ist nicht plotgebunden und bedient dahingehend auch die Genrezugehörigkeit zum Coming-Of-Age-Film. Ständig sind unsere Protagonisten in Bewegung: Rennen von einem Ort zum nächsten Event. Eilen von einem Wasserbett-Auftrag zu der eröffneten Spielhalle. Mal zusammen, mal getrennt, oder (durch Splitscreen) aufeinander zu. Die Jugendzeit lässt sich nicht bestimmten Momenten oder stilisierten Ereignissen unterordnen, sondern reift eher als ein Gefühl. In …denn sie wissen nicht, was passiert, einem der maßgeblichen Genrebegründer, sind Hauptfigur Jim Stark und seine Gefährten ebenso in einem dynamischen Hin- und Her-Geflecht. Präsentiert etwa durch ikonische Szenen wie das rasante Autorennen. Auch in Nicholas Rays Klassiker ist das Ende einer Ära unvermeidbar; eine scheinbar perspektivlose Reise.

Während James Dean den titelgebenden Rebel Without a Cause mimt, entspricht das Gefühl der Figuren in Licorice Pizza einem weniger drastischen und leichtfüßigeren Ansatz. Die Beziehung zwischen Gary und Alana entwickelt sich zunehmend wechselhaft, verläuft zwischenzeitlich sogar nebenbei. Zwar gibt es zahlreiche harmonisch-humorvolle Szenen insbesondere zwischen den beiden Hauptfiguren und San Fernando Valley wirkt optisch immer wie ein sommerlicher Traum (auch dank Co-Kameramann Michael Baumann), aber dabei driftet die Stimmung nie in unreflektierte Verklärung ab. Edgar Wrights Last Night in Soho lehrte uns vergangenes Jahr, dass Nostalgie eine trügerische Emotion ist. Paul Thomas Anderson hingegen arbeitet nicht mit exzessiver Symbolik, sondern lässt die Tristesse mitschwimmen – und auch diese Einstellungen werden niemals moralisierend aufgeblasen. Licorice Pizza zeigt ein Hollywood samt strukturellem Sexismus und Rassismus. Die Traumfabrik scheint sich nur noch mit trügerischen Sonnenstrahlen auf die Gesichter der Protagonisten aufrechtzuerhalten.

Doppeltes Debüt & smoothe Inszenierung

Besonders deutlich wird die Diskrepanz durch die prominent besetzten Nebendarsteller, die zwischen Absurdität und Genialität in ihrer Darstellung pendeln. Bradley Cooper darf als egozentrischer Filmproduzent Jon Peters unkontrolliert durch die Gegend schreien und auch Sean Penn spielt mit dem grobkörnigen, mysoginen Filmstar des ,Old Hollywood‘ Jack Holden (eine wenig subtile Anspielung auf William Holden) ein nicht minderes Arschloch.

Doch all diese Widrigkeiten können die jungen Protagonisten nicht aufhalten. Denn dieser Film gehört nicht nur Alana Kane und Gary Valentine, sondern insbesondere ihren debütierenden Gesichtsgebern. Während Cooper Hoffmann seinem 2014 verstorbenen Vater Philip Seymour Hoffman (der selbst fünfmal mit P.T.A. kooperierte) alle Ehre erweist und den selbstbewussten Gary charmant und naiv zugleich verkörpert, ist besonders Alana Haim jetzt schon die Entdeckung des Filmjahres. Alles andere als eine Oscarnominierung wäre für ihre energische Darbietung und das komödiantische Timing eine kleine Enttäuschung.

Formell wirkt Licorice Pizza oberflächlich wie Andersons intuitivstes, ,smoothestes‘ Werk in seiner Vita. Bei The Master oder There Will Be Blood zeichnen ihn eher inszenatorische Strenge und dichte Narration aus, wohingegen er bereits mit Inherent Vice ein Herz für humoristische Einlagen und Außenseiterfiguren zeigte. Gefühlstechnisch lässt sich sein aktueller Spielfilm wohl am ehesten mit Boogie Nights vergleichen (auch die cartoonesken Filmposter ähneln sich) – bei beiden Titeln erkennt man sein Talent für ein größeres Ensemble in einer oberflächlich makellosen Kulisse, bei der Gefühle und Abgründe des Gefüges im Wind von Los Angeles durch die Haare wehen.

Fazit

Licorice Pizza besticht insbesondere durch das Schauspiel-Duo Haim & Cooper und die humorvoll-leichten Begegnungen & Begebenheiten. Durch Paul Thomas Andersons Verzicht auf erzählerische Eingrenzungen und der dynamischen Inszenierung entsteht ein atmosphärische Reise durch das Los Angeles der 70er Jahre.

 

Licorice Pizza startet am 27. Januar 2022 in den deutschen Kinos.

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