Siegen-Wittgensteins grüne Seele Die 12 schönsten Baumziele der Region

Die Covid-19-Pandemie stellt für unzählige Bürger, Regierungen und Institutionen weltweit eine gewaltige Herausforderung dar. Viele Menschen haben Angst, und wissen gleichzeitig nicht, wie sie mit den dramatischen Umwälzungen ihres Alltags umgehen sollen.

Schließlich äußert sich dieser Zustand nicht als gewöhnliche und klar zu greifende Angst wie etwa das Lampenfieber vor einer Rede an der Uni. Nein – diese Angst ist anders. Sie kommt in der Gestalt eines unsichtbaren Schattens daher, der es irgendwie geschafft hat sich unter der Haustür und zwischen den halb geöffneten Fenstern hindurchzuschlängeln. Du weißt, dass er da ist und irgendwann zuschlagen wird, doch seine Unsichtbarkeit erzeugt ein nagendes Gefühl der Unsicherheit in deinem Körper. Ein Teil von dir gewöhnt sich mit der Zeit an diesen verborgenen Fiesling, der ständig hinter deinem Rücken zu lauern scheint – aber die Anspannung bleibt.

Die Liste der Sorgen ist lang und ein Großteil der Menschen würde den Alltag am liebsten ganz weit hinter sich lassen. Wie schön wäre es doch, in der derzeitigen Situation eine kleine Auszeit zu nehmen? Leider ist es aktuell nicht ohne Weiteres möglich, ins Kino zu gehen, in der Sauna zu entspannen oder mit Freunden in der Kneipe um die Ecke ein Bier zu trinken. Zwar plant die Regierung bereits weitere Lockerungen, doch über dem genauen wann und wie befinden sich noch etliche Fragezeichen. Gewiss ist das auch gut so, denn letztendlich muss die Gesundheit von uns allen an oberster Stelle stehen. Trotzdem leiden viele Leute gegenwärtig unter frostiger Einsamkeit und drückender Langeweile.

 

Bäume statt Netflix und Co

 

Was also tun? Außer Netflix-Serien gucken, Games zocken und chillen bleiben kaum Alternativen zur Freizeitgestaltung übrig. Jedes Wochenende unentwegt in der Bude zu hocken macht auf die Dauer jedoch ziemlich depressiv. Klar, man kann sich einen Spaziergang vornehmen. Allerdings hält sich meine Motivation in Grenzen, immer nur hinterm Haus den Berg auf- und abzuwandern.

Stattdessen suche ich mir viel lieber ein Ziel heraus für ein kleines Outdoor-Abenteuer. Dafür eignen sich Naturdenkmäler perfekt! Das können Höhlen oder Felsen sein, die meisten sind jedoch Bäume.

Die schönsten Baumdenkmäler der Region zu finden ist überraschend einfach: Meistens bediene ich mich der Listen auf Wikipedia. Die „Liste der Naturdenkmäler im Kreis Siegen-Wittgenstein“ ist zum Beispiel sehr übersichtlich nach Städten und Gemeinden gegliedert. Für jedes noch so kleine Kaff kann man hier erstaunlich große Register mit Bäumen finden. Ergänzend dazu nutze ich häufig das Geoportal Siegen-Wittgenstein, genauer gesagt die interaktive Karte mit dem schwerfälligen Titel „Info Untere Naturschutzbehörde“. Just in dem Moment, in welchem ich sie öffne, springen mir auch schon die ersten moosgrünen Punkte entgegen. Sie erinnern mich irgendwie an die Gegner auf der Map eines Strategiespiels, sind aber zum Glück keine Orks sondern nur Bäume. Nun wähle ich eines dieser Denkmäler aus, präge mir die entsprechende Route genau ein und ziehe dann auch schon meine Wanderschuhe an.

Letzte Woche entdeckte ich auf diese Weise die sieben Schwarzerlen in Oberdresselndorf, welche die wohl älteste Baumgruppe ihrer Art in Deutschland bilden. Das Erstaunliche daran: Kaum jemand weiß, dass sie überhaupt existieren! Das liegt unter anderem daran, dass sich die Naturdenkmäler an einem Ort befinden, wo sie wirklich niemand vermuten würde. An der Straße von Oberdresselndorf nach Liebenscheid, genau an der Grenze zwischen Rheinland-Pfalz und NRW, befindet sich ein kleines Industriegelände. Nur ein verirrter Reisender käme auf die Idee hier zu parken. Vielleicht drückt ihn seine Blase, sodass er den Impuls verspürt ein wenig am Straßenrand entlangzuschlurfen, um dann unauffällig rechts im Gebüsch zu verschwinden. Dafür muss er sich bücken, weil ihm tiefhängendes Gestrüpp den Weg versperrt und stolpert danach über ein paar tückische Brombeerranken. Nachdem er seinen Blick vom Boden abwendet, fährt ihm ein leichter Schauer über den Nacken. Sieben knorrige Baumriesen sieht er dort vor sich stehen, die mythischen Spuk-Gestalten oder Gewächsen aus Yodas Sumpf ähneln.

Begebenheiten wie diese sind bei der Baumsuche in der Tat nichts Ungewöhnliches. Auch ich komme mir manchmal vor wie auf der Reise durch eine verborgene Parallelwelt. Oftmals liegen Baumdenkmäler direkt vor der eigenen Haustür, ohne dass irgendjemand davon ahnt. Im Gegensatz zu Museen oder besonderen Bauwerken sind zu Naturdenkmälern nämlich kaum Bilder im Netz zu finden. Spannende Sache, wie ich finde: Nie weißt du, was genau dich erwartet.

An einem Tag wurde ich von einem Fußgänger dabei erwischt, wie ich mal wieder auf den Smartphone-Bildschirm starrend, die Gegend durchkämmte. „Na, auf Pokémon-Jagd?“ ertönte von der Seite die Frage des Passanten. Als ich aufschaute, blickte ich einem schelmischen Lächeln entgegen, mit welchem er mir wohl anzeigen wollte, dass ich soeben entlarvt wurde. Das selbstbewusste Grinsen wich jedoch rasch einem Ausdruck der Verwirrung, als ich erklärte, auf der Suche nach besonders seltenen und alten Bäumen zu sein. Irgendwie hat er ja recht, denke ich. Ein bisschen erinnert die Baumsuche tatsächlich an Pokémon Go. Mit der Online-Map bewaffnet, die Augen auf das Handy gerichtet, macht man sich auf den Weg in die Pampa. Doch statt Pikachu, Schiggy, Glumanda oder Pumeluff jage ich alte Eichen, Linden, Buchen oder Eschen. Nach und nach durfte ich auf diese Weise viele bezaubernde neue Orte kennenlernen. Die interessantesten von ihnen sollen euch in der nachfolgenden Aufzählung vorgestellt werden.

 

12 Tipps für die Baumsuche

 

  1. Platane in Siegen: Leider stehen nur noch sehr wenige hochbetagte Bäume in den Ballungszentren der Stadt Siegen. Die Bombenangriffe der Alliierten vom 16. Dezember 1944 hatten zur Folge, dass sich auch heute kaum noch ein Exemplar vorfinden lässt, welches älter als 75 Jahre ist. Eine Ausnahme bildet da die 5 m dicke Platane bei der Sandstraße 46 an der Ecke eines Supermarkt-Parkplatzes. Zahllose Male bin ich in der Vergangenheit bereits an diesem Gigant vorbeigespurtet – ohne ihn als etwas Außergewöhnliches wahrzunehmen. Immer hatte ich dabei etwas anderes im Sinn: Einkaufen, zur Uni gehen, noch ganz schnell den Bus erwischen. Erst die Beschäftigung mit markanten Baumdenkmälern schärfte meinen Blick, sodass er mir letzten Herbst endlich ins Auge fiel.

 

  1. Goldeiche Wemlighausen: Statt im gewohnten Grün erstrahlt die am Rande einer idyllischen Pony-Weide stehende Goldeiche im Frühjahr in goldgelber Blätterpracht. 1843 entstand diese seltene Zuchtform der Eiche in einer belgischen Baumschule. Auf jeden Fall einen Besuch wert!

 

  1. Weiden in Ferndorf: Wer zufällig zwischen Ferndorf und Kredenbach mit dem Auto unterwegs ist, darf gerne ein bisschen langsamer fahren und an der nahegelegenen Straßeneinbuchtung parken. Direkt gegenüber des allseits bekannten Schnellrestaurants stehen neben dem Flusslauf der Ferndorf zwei mächtige Weiden. Diese Baumart ist wie alle Weichhölzer äußerst vital: Kaum setzt man einen abgeschnittenen Ast in die Erde, schlägt er nach kurzer Zeit wieder Wurzeln. Früher haben sich Kinder daher regelmäßig einen Spaß daraus gemacht, kleine Weidenäste an verschiedenen Stellen aufzuforsten.

 

  1. Eschen an der Wasserburg Hainchen: Alte Eschen sind nahezu überall im Siegerland anzutreffen. Oft kann man sie an dörflichen Straßenrändern, in Kirchhöfen oder als Teil einer Parkanlage besichtigen, wie etwa jene bei der Wasserburg in Hainchen. Unglücklicherweise trügt der Schein. Schon bald werden Eschen nämlich kein selbstverständlicher Anblick mehr sein, denn seit einigen Jahren treibt das durch eine Pilzart hervorgerufene Eschensterben in ganz Europa sein Unwesen. So mussten auch am Oberen Schloss und in der Nähe des Gymnasiums Stift Keppel bereits mehrere Bäume gefällt werden.

 

  1. Königs- oder Schäfer-Eiche: „Rauschend wölbt der Wald die Kronen“ – so liest sich die erste Zeile eines Gedichtes, welches von Heinrich Adolf Müller zu Ehren der über 300-jährigen Eiche im Wald nördlich von Neunkirchen verfasst wurde. Die Königseiche ist im Übrigen innen hohl, sodass selbst ein erwachsener Mann aufrecht stehend wie durch ein Fenster nach außen auf die umliegenden Fichten und Waldwege schauen kann.

 

  1. Hohle Eiche und Ehreneiche in Netphen: Eine weitere hohle Eiche ragt inmitten einer am Mühlenbach gelegenen Pony-Weide empor, die am Fuße der Keltenburg in Netphen liegt. Ebenfalls sehenswert für alle Ortsansässigen ist die beeindruckende Ehreneiche, die am Ende der gleichnamigen Straße vorzufinden ist, und ihrem Namen wahrlich alle Ehre macht.

 

  1. Bärenwaldeiche Freudenberg: Im 14. Jahrhundert forderte die Pest 25 Millionen Todesopfer in ganz Europa. 1453 besiegelte die Schlacht von Konstantinopel das Ende des einst mächtigen Byzantinischen Reiches. Rund vierzig Jahre später entdeckt Kolumbus Amerika. 1618 brach der fürchterliche 30-Jährige Krieg aus, in dem fast 40% der deutschen Landbevölkerung ihr Leben lassen mussten. Im 19. Jahrhundert stellt die Industrielle Revolution das Leben von Millionen Menschen weltweit komplett auf den Kopf. 1914-1918 findet der Erste Weltkrieg statt. 1945 endet der häufig als „größte Katastrophe der Menschheit“ bezeichnete Zweite Weltkrieg. Die über 650 Jahre alte Bärenwaldeiche überlebte all diese Umwälzungen fast gänzlich unversehrt. Warum die älteste Bewohnerin des Siegerlandes nicht schon längst gefällt wurde, bleibt bis heute ein Rätsel. Vermutlich bot sie als wichtiger Grenzbaum Orientierung. Ich zumindest finde: Die Bärenwaldeiche ist ein Muss für jeden Siegener!

 

  1. Dicke Buche in Krombach: Die ungefähr 7 Meter dicke Buche am Alten Heck in Krombach hat den gewaltigsten Umfang aller Bäume im gesamten Kreisgebiet. Als ich sie im Frühjahr letzten Jahres zum ersten Mal besuchte, staunte ich nicht schlecht: Wie ein Wesen aus einer fremden Welt kam mir dieser knorrige Koloss vor. Sein weitläufiges Wurzelgeflecht ist obendrein derart üppig, dass manch einer den Eindruck gewinnen mag, es versuche gar die Buche selbst zu übertrumpfen. Bis heute bleibt die Dicke Buche jedenfalls mein persönliches Lieblingsziel.

 

  1. Eiche im Rauhen Seifen, Hilchenbach: Dieses eindrucksvolle Geschöpf sollte zu den absoluten Highlights aller heimischen Naturfreunde gehören. Während die meisten greisen Baumriesen im Alter unter starkem Astbruch leiden, ist die Krone dieses Exemplars auf wundersame Weise über die Jahrhunderte hinweg fast völlig intakt geblieben. Für sich betrachtet könnte jeder Ast einen ca. 100-jährigen Baum abgeben.

 

  1. Wotanseiche Allenbach: Der älteste Baum Hilchenbachs gedeiht am Stift-Keppel-Weg in Allenbach, gegenüber einer Turnhalle. Die bemerkenswert tiefen Furchen laden förmlich zum Tasten ein und lassen erahnen, dass die Wotanseiche schon unzählige Winter erlebt hat. Dies gilt gleichermaßen für die ebenso umfangreiche Linde am Ginsterweg, welche selbst im hohen Alter noch einen sehr kraftvollen und vitalen Eindruck macht.

 

  1. Kaffeebuche Hainchen: Eine Attraktion der etwas anderen Art stellt die Kaffeebuche an der Grenze von NRW und Hessen dar. Jedes Jahr kamen hier ununterbrochen Wanderer vorbei, um nach einem anstrengenden Marsch den Rucksack abzuladen und eine kleine Rast einzulegen. Währenddessen genossen sie stets den Anblick der massigen Buche. Bedauerlicherweise fiel der altehrwürdige Grenzbaum vor einigen Jahren einem Sturm zum Opfer. Die Einwohner der umliegenden Ortschaften vermissten ihn daraufhin so sehr, dass sie der Buche ein Denkmal setzten. Aus Brettern und Moosfetzen bauten sie liebevoll den Stumpf des Baumes nach. Am Fuße des Gebildes lugt zwischen den Gräsern ein kleines Häschen hervor. Daneben ruht eine Rehfigur mit Jungtier. Bunte Fliegenpilze aus Ton verleihen dem Ensemble schließlich einen lebendigen Touch. Am oberen Ende des Stumpfes hängt ein Schild, auf welchem in Siegerländer Platt die Aufschrift „Kaffeeboche Hainchen“ zu erkennen ist.

 

  1. Linde in Friesenhagen: Die Rote Kapelle in Friesenhagen ist über die Region hinaus als beliebtes Fotomotiv bekannt. Nur wenige wissen, dass sie zugleich auch ein düsteres Mahnmal verkörpert: Mehr als 200 Frauen und Männer fielen hier den Hexenverfolgungen im 17. Jahrhundert zum Opfer. Stille Zeugin des Ganzen ist seit vielen Jahren die ca. 500 Jahre alte Linde links neben dem Kapelleneingang.

 

Auch wer keine Lust auf die erwähnten Baumziele hat, wird meiner Meinung nach von einem Gang in den Wald profitieren. Der Aufenthalt zwischen den Bäumen mindert erwiesenermaßen Angst und Depressionen, ja wirkt sogar dem Burn-out-Syndrom entgegen. Qi Ling von der Nippon Medical School in Tokio fand beispielweise heraus, dass Waldspaziergänge die Stresshormone im Blut um bis zu 75% senken können. Klingt nach einem guten Mittel gegen die eingangs beschriebene Angst und den allgegenwärtigen Corona-Blues! Wer also gerade nichts zu tun hat oder nach unbedenklichen Ausflugszielen sucht, kann die oben aufgeführten Reisetipps gerne mal ausprobieren.

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