Züge in Filmen kommt immer eine ganz besondere Bedeutung zu. Als mobiles Setting sind sie nicht an einen Ort gebunden, was auch das Kreieren einer starken Atmosphäre schwieriger gestalten kann. Demnach liegt diese Last dann auf der Charakterzeichnung der einzelnen Figuren und derer Konstellation zueinander. Dieser Aufgabe musste sich nun Kenneth Branagh annehmen, der sich der Neuverfilmung von Agatha Christies Krimiklassiker Mord im Orient-Express angenommen hatte. Ob Branaghs Neuauflage mit dem Original von 1974 mithalten kann, verraten wir euch jetzt.
Die Geschichte um den Mord im Orient-Express ist für Buch- und Filmfreunde eine altbekannte. Der famose Detektiv Hercule Poirot hat wieder einmal einen Fall, den sonst niemand lösen konnte, aufgeklärt und plant nun seinen wohlverdienten Urlaub anzutreten. Als ihm ein Problem bei der Rückreise in die Quere kommt, schafft es Hercule mithilfe eines alten Bekannten noch einen Platz im legendären Orient-Express zu ergattern. Zusammen mit zwölf weiteren Fahrgästen tritt er die dreitägige Reise an. Als dann jedoch eines Morgens der Leichnam des obskuren Kunsthändlers Ratchett aufgefunden wird, muss der Meisterdetektiv erneut seine Fähigkeiten unter Beweis stellen.
Ein Spiel auf Zeit beginnt, bei dem jeder der Mitreisenden der Mörder sein könnte, der jederzeit erneut zuschlagen kann.
Ein Zug voller Lasten
Kenneth Branagh ist mit der Neuverfilmung dieses Klassikers bei Weitem nicht der erste. In seinem Ansatz versucht er dabei ein wenig Komik in das sonst so düstere Mysterium um den Mord im Zug zu bringen. Zwar ist der Humor recht solide, doch wirkt er häufig fehl am Platz. Wir hatten oftmals das Gefühl, dass sich der Film nicht genau zwischen Komik und Ernsthaftigkeit entscheiden konnte und somit ein seltsamer Hybrid von einem Film entstanden ist. Hinzu kommt, dass durch die teils humorvoll dargestellten Fahrgäste eine weniger beängstigende, sondern gemütlichere Atmosphäre kreiert wird. So haben wir während des ein oder anderen Verhörs im Speiseabteil vielmehr an das schmackhafte Reisen im Orient-Express gedacht, als an den grausamen Todesfall. Hier hätten wir uns einfach gewünscht, dass der Film sich ernster nimmt und das Setting der beengenden Kammern auf Schienen effektiver zur Spannungserzeugung eingesetzt worden wäre.
12 Angry Passengers
Trotz mancher Mängel, bleibt bei den darstellerischen Leistungen wenig anzukreiden. Branagh, der neben der Regie auch die Hauptrolle des berühmt-berüchtigten Schnüfflers Hercule Poirot übernahm, schlägt sich äußerst wacker. Auch wenn der geheime Star des Films sein überaus bizarrer Schnurrbart ist. Diese Skurrilität klebt stärker an seinen Lippen, als die Pest in den Straßen des mittelalterlichen Frankreichs und verstärkt das Bild des komischen Kauzes auch über sein Äußeres. Außerdem sind Hollywoodgrößen wie Johnny Depp, Judi Dench, Penélope Cruz, Daisy Ridley, Michelle Pfeiffer, Josh Gad und Willem Dafoe an Board des luxuriösen Dampfgefährts. Jeder einzelne fügt sich in eine Rolle, die immer sehr die jeweils anderen kontrastiert. Ein schönes Gefüge, dessen Zusammenspiel auf engstem Raum einem sozialen Experiment gleicht. Doch aufgrund der hohen Anzahl an Figuren, bekommen die Darsteller zu wenig Screentime, um ihren Figuren die nötige Reife zu verleihen. Dadurch erscheint manch eine Charakterzeichnung auch trotz toller Darstellung plakativ.
Fazit
Branaghs Remake des Klassikers Mord im Orient-Express ist eine spannende, wenn auch überinszenierte Fahrt durch ein Tal voller Lügen und Intrigen, bei der trotz tollem Schauspiel und schönen stilistischen Bildern die Faszination an der Aufklärung eines mysteriösen Mordfalls auf der Strecke bleibt. Ein wenig zu viel Kitsch und Klamauk zerstören die erwünschte Bedrohlichkeit und machen den Streifen zu einem Werk absoluter Mittelmäßigkeit. Wer trotzdem gerne wissen möchte, wer der Täter ist, der sollte lieber auf die literarische Vorlage zurückgreifen oder die Verfilmung von Sidney Lumet; oder aber sich ab heute im Lichtspielhaus vom Gegenteil überzeugen lassen.