„Er aber, sag’s ihm, er kann mich im Arsche lecken!“ Johann Wolfgang von Goethe, sog. „Schwäbischer Gruß“ aus Götz von Berlichingen

Schimpfwörter nehmen täglich an unserem Alltagsleben teil, sind jedoch durch ihren negativen Charakter selten willkommene Kommunikationsmittel. Ein paar Gedanken zu den oft nicht hinterfragten  dos und don’ts unserer verbalen Gewohnheiten.

Wenn es um Schimpfwörter geht, verwandelt sich unser Alltagsleben manchmal in ein gigantisches Tabu-Spiel: Es gibt Wörter, die wir nicht sagen dürfen und Mitspieler, die laut aufschreien, wenn sie uns doch einmal über die Zunge rutschen. Eltern, Lehrer, Freunde, Kollegen – das Gesellschaftspiel ist für beliebig viele Partizipienten ausgelegt. Die Spielregeln sind uns meistens jedoch so eingebrannt, dass wir selbst zu unseren strengsten Aufpassern mutieren.  Zensiert als „Scheibenkleister“ oder „Mist“ lassen die Türsteher unseres Sprachorgans noch Gnade vor Recht ergehen. Doch nach einem „Scheiße“ hat ja wohl eine Entschuldigung zu folgen. Jedenfalls nach den empörten Blicken unseres Soziotops.

Alexander Lehmann, Gesundheitswissenschaftsstudent aus London, flucht ca. zehn Mal am Tag. In überraschenden Situation, wie Schreckmomenten, kommen intuitiv vorwiegend englische Begriffe zum Einsatz: fuck, shit, crap usw. Ein weiteres oft verwendetes Schimpfwort ist Hurensohn, dies aber nicht in Bezug auf Personen, sondern eher als Reaktion auf ein Malheur. Stößt er sich zum Beispiel an der Tischkante oder fällt ihm ein Glas herunter, ruft Lehmann lautstark „Hurensohn!“. Aber ist das nicht gesund? Was soll die Zierde mit den bösen Wörtern? Wer stellt sie in ihre Ausnahmeposition und gibt ihnen so viel Macht? Und warum sollten wir sie nicht mal hinauslassen?

Etwas Besonderes

Schimpfwörter sind etwas Besonderes für unser Gehirn. Sie werden nämlich nicht wie formale Sprache im Broca’schen (Zentrum für Sprachproduktion) oder im Wernickezentrum (Zentrum für Sprachrezeption) gespeichert, sondern in der Amygdala (Zentrum für emotionale Bewertung). Diese ist u. a. für die Verarbeitung negativer Gefühle zuständig, aber zeigt sich ebenso aktiv bei der Verarbeitung von Tabu-Wörtern. Im Jahr 1999 konnte ein Patient mit Aphasie, einer Störung der Sprache aufgrund der Schädigung dominanter Gehirnregionen, in einer Studie nur noch die Wörter yes, no, well, yeah, shit und goddammit im passenden Kontext benutzen. Ein ganzes Drittel nahmen Schimpfwörter in seinem reduzierten Wortschatz ein. Woher rührt diese beeindruckende Bilanz?

Mit Zeit kommt Verfremdung

Die Verbindung  von Wort und Gefühl in einem Gehirnzentrum resultiert offensichtlich in einer besonderen Konservierung der Tabuwörter. Viele dieser Begriffe haben sich aus vergangenen Körpertabus entwickelt, für die ebenfalls die Amygdala verantwortlich war. Verhaltensweisen also, die negativ konnotiert abgespeichert werden mussten, um gesellschaftlich akzeptiert zu sein. Heutzutage haben aber die wenigsten dieser Körpertabus noch Relevanz. Doch ihre sprachliche Vertonung, einhergehend mit den negativen Gefühlen, bleibt präsent im Diskurs. So entstand zum Beispiel der Begriff Wichser aus dem damaligen Masturbationstabu, wird jedoch im kontemporären Gebrauch vom Duden als „männliche Person (deren Verhaltensweise, Meinung nachdrücklich abgelehnt wird)“ definiert. Fazit: komplett entnabelt von seinem Ursprung. Und mal ehrlich, wer denkt denn schon ans Wichsen, wenn er oder sie jemanden einen Wichser nennt?

Ich bin Mensch, ich mache groß

Anders verhält es sich mit Fäkalausdrücken. Diese sind überaus beliebt im deutschen Schimpfwortschatz und hier viel prominenter als in anderen Sprachen. Fäkalausdrücke sind zwar nicht an Körpertabus gekoppelt, nehmen aber dennoch den Platz von Tabuwörtern ein. Der Grund hierfür liegt in den Resultaten der Linguistischen Wende: Realität wird durch Sprache konstruiert. Sprache kann zum Beispiel Unterscheidungen bestimmen, die in Gesellschaften durch sie zur Norm werden. Und da der Mensch wohl ein Mensch ist und kein Tier, muss dies sprachlich getrennt werden. Eine offensichtliche Gemeinsamkeit der (angeblich) zwei Spezies sind körperliche Funktionen. Um diese Überlappung zu kaschieren scheißt der Mensch nicht – er macht groß. Weil er kein Tier ist. Auffällig ist auch hier, dass der heutzutage spontan ausgerufene Fluch „Scheiße“ weit entfernt von seiner unsprünglichen Verwendung ist.

Dennoch tut sich die Frage auf, warum Alexander Lehmann ausgerechnet „Hurensohn“ ruft und nicht „Scheiße“, so wie es vielleicht der Otto Normalflucher tun würde, wenn ihm ein Glas herunterfällt. Was ein dieses Malheur mit dem männlichen Kind einer Prostituierten zu tun hat, ist durchaus fragwürdig. Was besagtes Glas mit Kot zu tun hätte, gleichermaßen.

 

Tabuwörter

Zwischen Schimpfwörtern an sich und ihrer ursprünglichen Bedeutung ist die sinngemäße Entfernung mindestens so groß, wie zwischen den Schimpfwörtern und dem Kontext, in dem sie heute verwendet werden. Im Gehirn sind sie unzertrennlich mit negativen Gefühlen verankert, welche auf vergangene körperliche Tabus zurückzuführen sind und welche die heutigen sprachlichen Tabus verstärken. Wie können wir aus diesem Kreis ausbrechen? Warum nehmen wir nicht zum Beispiel – um das „Tabu“ aus den Tabuwörtern zu streichen – das Koten in unsere sprachliche Alltagsroutine auf? Dann würde das Wort „Scheiße“ seine Besonderheit verlieren, damit seine negative Konnotation und ebenso eine sprachliche Selbstverständlichkeit werden wie es eine körperliche ist.

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