Ich weiß, dass sie mich beobachten. Ich spüre ihre Blicke, die sich auf mich legen, wie eine viel zu schwere Last. Eine Last, die jeden Tag droht mich zu erdrücken. Ihr Lachen klingt nicht freudig, sondern falsch und viel zu laut. Schrill klingelt es in meinen Ohren, denn ich weiß, dass sie über mich lachen. Auch, wenn sie es selbst nicht wissen, denn sie lachen durch mich hindurch und über mich hinweg.
Und das ist ihr Weg. Jeder geht einen Weg, ob es einem nun bewusst ist oder nicht. Ich habe mich nie darüber beschwert, denn mein Weg ist der des geringsten Widerstandes. Vielleicht gab es sogar eine Zeit, in der ich dankbar dafür war, nicht wahrgenommen zu werden. Denn mit der Wahrnehmung ist es so eine Sache: Kann etwas wahr sein, ohne dass ich es für wahr nehme und mich damit beschäftige? Und beschäftigen wollen sich die wenigsten. Zeitvertreib ist gut, sich mit etwas zu beschäftigen erfordert Zeit. Zeit, die wir nicht haben, oder glauben nicht zu haben. Die Angst verfolgt mich. Sie haftet an mir wie ein Parasit. Ich – der Wirt der Angst und der Absonderlichkeit.
Ich gehöre hier nicht her. Aber wenn nicht hierher, wohin dann? Gibt es denn für jeden einen Ort, an den er gehört? Wenn jemand (und dieser jemand sollte keinesfalls ich sein) die anderen fragen würde, wohin jemand wie ich gehöre, sie hätten zweifelsohne eine passende Antwort. Warum hat man die Welt damals nicht gleich so aufgeteilt, dass meinesgleichen einen Teil bewohnt und deinesgleichen einen anderen Teil. Vielleicht gibt es ja sogar noch andere, die wiederum einen Teil bewohnen könnten. Teile gäbe es schließlich genug. Wenn schon jemand so schlau war, sich Linien auszudenken, die Gebiete voneinander trennen, hätte dieser jemand doch auch gleich ausklügeln können, wer am besten in welchem Gebiet lebt. Es erscheint mir im Nachhinein doch sehr stumpfsinnig, dass man nicht auch gleich alle Menschen verteilt hat. Damit hätte man sich doch viel Mühe und Not ersparen können, denn gleich und gleich gesellt sich gern, oder wie war das?
Die Anderen sind aus meinem Blickfeld verschwunden. Es schaudert mich, wenn ich an ihre unnatürlich weißen und gebleckten Zähne denke und an die Blicke, die sich mir trotz ihrer Flüchtigkeit wie rostige Nägel in den Rücken bohren. Unwillkürlich schüttelt es mich, aber dieser Gedanke vergeht und ihr Lachen verebbt. Die Sorge bleibt. Dabei sind die, die wegschauen mir lieber, als die, die in einem Anflug von Selbsthass, der sich letztlich auf mich projiziert, doch hinschauen. Ich weiß, dass nicht ich es bin, der in ihnen diese Gefühle weckt, sondern das Mash-Up aus diversen Einflüssen privater, gesellschaftlicher und medialer Natur. Ich bin lediglich der Auslöser. Der Schmerz, den die Faust oder der Tritt hinterlässt, bleibt derselbe.
Ich – das Sinnbild der Absonderlichkeit und der Auslöser der Angst. Wem kann man es verübeln. Angst ist menschlich und ich habe Angst. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute und jede Sekunde. Der Umgang mit der Angst ist, was am Ende des Tages zählt, sagen sie. Wie auch immer, meistens betäube ich die Angst, bevor sie mich betäuben kann. Das erregt den Missmut derer, die sich für rechtschaffene und ordnungsliebende Bürger halten, denn wer seinen Schmerz betäubt, hat schlicht die Kontrolle verloren oder ist zu schwach, sich selbst zu helfen. Dabei lassen sie aus den Augen, dass die wenigsten sich selber helfen. Denn den meisten wird geholfen, auch wenn sie später behaupten werden, sich selbst geholfen zu haben, weil Vergessen so viel leichter fällt, als sich zu erinnern. So läuft es nun mal. Auslöser bleiben nur heruntergebrannte Streichhölzer im Gedächtnis derer, die sich für wichtiger halten. Wir sind so schnell darin, Urteile zu fällen, dass wir vergessen uns zu fragen, was uns zum Richter macht.
Perfektion ist so ein vollkommener Begriff in so einer so unvollkommenen Welt. Ein Idealbild, dem trotzdem alle gerecht werden wollen, obwohl doch jedem so klar ist, dass er es niemals erreichen wird. Mir ist das klar, ihnen nicht. Ich meine die, die lachen, ohne dass es ihre Augen erreicht. Die, die mich ansehen und doch wegschauen. Die, für die ich ein Zeitvertreib bin und bleibe. Sie sind nett und höflich und haben mich vergessen, sobald sie mir den Rücken kehren. Dennoch verstehe ich sie besser als jeder andere. Wie gibt man etwas zurück, ohne zu viel zu verlieren? Wie kann man Gutes tun, wenn man das Gefühl nicht bekämpfen kann, sich an einer mickrig guten Tat zu laben, sich in ihr zu suhlen und von ihr zu zehren, bis es längst nichts mehr zu zehren gibt? Wie ist man gut, ohne stolz darauf zu sein, Gutes zu tun?
Sie schauen wieder weg. Meistens sind es Kinder die hinschauen, denn sie haben das Glück, noch kein Abbild unseres Umgangs miteinander zu sein. Aber manchmal sehen auch andere hin, solche, die ihre Ängste hinterfragen, die mich fragen und die verstehen, dass die Welt nicht schwarz und weiß, sondern ein Ort voller Graustufen ist. Ich übe mich in Kritik, denn ich vermag kein Urteil zu fällen. Urteile sind endgültig. Mit Kritik lässt sich arbeiten.