Theater schafft Nähe auf Distanz

Der zweite Lockdown hat die Kulturbranche wieder schwer getroffen. Nachdem strengste Hygienekonzepte entworfen, teure Luftfilteranlagen verbaut und zusätzliche Termine möglich gemacht wurden, hieß es trotzdem: „Reicht nicht! Publikum raus! Türen zu!“ Und während in sozialen Medien nun immer mehr auf diesen Missstand hingewiesen wird, stehen Kulturschaffende dennoch irgendwie hilflos da.

Auch in Siegen wird die damit verbundene Leere spürbar: Seit November sind die Lichter im Apollo wieder aus, im Lÿz ist es still und auch beim Bruchwerk Theater steht man vor verschlossenen Türen. Als erste professionelle Studiobühne, die frischen Wind in die Siegener Theaterlandschaft gebracht hat, hatte das Bruchwerk Theater gerade einmal ein Jahr Spielbetrieb hinter sich als im Frühling der erste Lockdown beschlossen wurde. Und jetzt wurde auch die Hoffnung auf einen normalen Ablauf der neuen Spielzeit schnell im Keim erstickt. Die Premiere des Stücks „Fische“ fand noch wie geplant statt, aber kurz darauf waren die Schotten dicht. Keine Wiederaufnahmen, keine Konzerte, nichts, nada.

Doch wer in letzter Zeit vielleicht aus lauter Verzweiflung oder Langeweile um die Glasfront des Bruchwerks geschlichen ist, konnte sehen, dass die Türen dort zwar zu sind, aber das Licht noch brennt. Denn stillsitzen ist ein Wort, das im Vokabular dieses Theaters vergeblich gesucht werden kann. Schon im letzten Lockdown stellte das Bruchwerk, ziemlich spontan, eine kleine Livestream Reihe unter dem Motto „Endzeitdekadenz“ auf die Beine: ein Versuch mit der unbekannten Situation umzugehen und das Theater nicht komplett zu verlieren.

 

 

Zweiter Lockdown bedeutet nun auch zweiter Livestream, diesmal als „Nahaufnahme“. Was beim letzten Mal noch schnell zusammengebastelt und improvisiert daherkam, ohne dass die vorhandene Technik auch nur im Geringsten darauf ausgelegt war, wurde jetzt sorgfältig geplant und vorbereitet. „Der erste Lockdown hat uns kalt erwischt, diesmal sind wir emotional und organisatorisch darauf eingestellt“, erzählt David Penndorf, Mitbegründer und Leiter der Werkstattsparte. Ein Monat Planungsarbeit steckt jetzt in dem Stream, der am 3. Dezember starten wird. Diese „Nahaufnahme“ will versuchen, die Nähe, auf die momentan so sehr verzichtet werden muss, mit filmischen Mitteln visuell und auditiv umzusetzen. Wie genau das erreicht werden soll, wird noch nicht verraten, aber Berührungsängste gibt es keine. So nah ran, wie man es als Zuschauer:in niemals könnte, das möchte die „Nahaufnahme“ versuchen.

Nähe schaffen ohne Präsenz, Theater machen auf Distanz. Es ist ein Versuch, ein Hilferuf, ein Rettungsanker um in einer solchen Zeit nicht vollends den Boden unter den Füßen zu verlieren. Denn Theater machen ist hier nicht nur ein Job, es ist eine Leidenschaft. Und so ist dieser Stream nicht nur ein Angebot für das Publikum, sondern auch wichtiges Mittel gegen die Verzweiflung.

Die Erfahrung, die die Zuschauenden dabei vor dem Bildschirm machen werden, kann dennoch in keinster Weise mit einer Theatervorstellung vor Ort verglichen werden. Denn Theater findet zwischen Menschen statt, es ist eine Gemeinschaft, ein Miteinander, ein Austausch. Der Livestream bleibt damit das Ersatzprogramm ohne wirklich zu ersetzen. Vielleicht kann er mit neuen Ansätzen in Zukunft sogar zu etwas Eigenem werden. Bis die Theater aber ihre Türen wieder öffnen und den zwischenmenschlichen Kontakt ermöglichen, ist es die beste Alternative, die man sich wünschen kann. Für Kultur und für Nähe.

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